Zweibrücker industriekulturelle Ankerpunkte

Der Schönhof

Vom Standort Schönhof westlich der Fahrenbergstraße aus ist das funktionale, polyhistorische Ensemble einer Dingler’schen Erinnerungslandschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute abzulesen. Insgesamt ist es zwar wenig spektakulär, etwa verglichen mit den eindrucksvollen Hinterlassenschaften etwa im Saarland oder im Ruhrgebiet. Es erlaubt aber, wichtige Phasen und Ereignisse der Zweibrücker Industrialisierung zu verstehen. Hilfreich sind bei dieser Betrachtung auch die Auszüge aus frühen Katasterplänen bei Ludwig 1991 (S. 40 ff. und 134-135). Weiter sei auf die industriehistorische Inventur (Stand Oktober 2023) einzelner im folgenden Text genannter Standorte verwiesen, dokumentiert auf der Webseite ‚Zweibrücker Industriekultur‘ unter Industriegeschichtliche Inventur (die Standorte sind fortlaufend nummeriert, und entsprechende Hinweise folgen unten im Text).

Aus industriegeschichtlicher Perspektive ist diese historische Standortgemeinschaft noch nicht systematischer aufgearbeitet oder bewertet worden. Alle unten angesprochenen Zeugnisse sind aber in räumlicher Dichte und Aussagekraft industriekulturell für unsere heutige Erinnerung und Wertschätzung von Bedeutung. Der Ort eignet sich hervorragend für industriekulturelle Hinweise oder auch als Ausgangspunkt für ausgedehntere Rundgänge zur Erläuterung der Zweibrücker Industriegeschichte insgesamt (s. Senkrecht-Luftbild des hier vorgestellten Geländes, oberer Teil, Nr. 3).

Ausgerechnet der (fast) ‚verlorene Ort‘ der früheren Villa Schönhof von J.B. Wolff und seiner Ehefrau Johanna Luise, geb. Dingler, als ‚Zentrum‘ und Ausgangspunkt (Nr. 28) erlaubt den Blick auf eine Reihe von Objekten und Landschaftsausschnitten der industriellen Abfolge von Dingler, Demag, Terex und Tadano Demag. Sie sind in wenigen Schritten in alle Himmelsrichtungen zu erreichen. Bis zur völligen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg mit nachfolgender Abräumung stand die Villa nur wenige Meter nördlich der Dinglerstraße im westlichen Teil des heutigen Tadano-Parkplatzes --- ein Gelände, das immer noch terrassiert ist wie der frühere Garten. Dieser und das ehemaligen Parkgelände wird durch die Ost-West verlaufenden Mauern aus Buntsandstein-Hausteinen noch angedeutet.

Der Terminologie vieler entsprechender Stätten in Deutschland folgend, kann das Gesamt-Gelände Schönhof als ‚industriekultureller Ankerpunkt’ bezeichnet werden. Die Erläuterungen sollten folgende Objekte einschließen:

  • den ehemaligen Standort der Villa Schönhof (randlich auf Nr. 29 in der oben genannten industriehistorischen Bestandsaufnahme zu erkennen), also dem Wohnsitz von J.B. Wolff, dem ehemaligen Vorstand der Dinglerwerke und Bürgermeister der Stadt Zweibrücken (1895-1904)(wie oben erwähnt, wurde das Objekt im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, s. Bild in Ludwig 1991, S. 432). Soweit heute bekannt, wurden die Trümmer des Gebäudes im Jahre 1957 ohne verbleibende Zeugnisse abgeräumt
  • der Standort aber noch deutlicher bis heute markiert durch das nur geringfügig beschädigte Portal der Zufahrt zum Gelände mit vier speziell gestalteten Buntsandstein-Stelen (mit heute nur noch drei Kugeln als oberen Abschluss (s. Abbildung bei Ludwig 1991, S. 153)
  • zwei Stadthäuser in der heutigen Gartenstraße: Einmal das ältere, mit seinen stilistischen Merkmalen deutlich gründerzeitliche Kutscher- und Fahrerhaus an der Ecke Garten- / Fahrenbergstraße (sorgfältig renoviert) (Nr. 26), zum anderen die repräsentative Villa von Julius Dingler jun., dem Enkel des Firmengründers, erbaut 1925 (Nr. 25).

Letzteres stellt ein bemerkenswertes, bis heute gut erhaltenes Gebäude dar, stilistisch als Reformarchitektur mit klassischen Elementen zu charakterisieren. Im äußeren Erscheinungsbild ist es beeindruckend durch sein Pyramidendach mit markanten Gauben und großzügigem Garten, im Hausinneren bis in Einzelmerkmale hinein sorgfältig erhalten und, wo erforderlich, vom derzeitigen Eigentümer, renoviert. Auch ein typisches Merkmal damaliger Häuser des wohlhabenden Großbürgertums ist praktisch unverändert überliefert: Der separate Eingang mit originalem Treppenhaus ins Dachgeschoss, der zu der früheren Wohnung von Hausangestellten führt. Auch die derzeitige Gartengestaltung ist jüngst an historisch überlieferte Merkmale angepasst worden. Villa und Garten sind insgesamt als rheinland-pfälzisches Kulturdenkmal ausgewiesen (s. https://denkmallisten.gdke-rlp.de/Zweibruecken.pdf, S. 4)(s. hierzu den Beitrag von Gerhard Herz unter dem neuen Abschnitt ‚Vertiefungstexte‘ auf der Webseite Zweibrücker Industriekultur)

  • das heute zu Tadano-Demag gehörende Gesamtgelände mit dem sogenannten herzöglichen Tauben- und später Dingler’schem Gästehaus, heute im wesentlich genutzt als Archiv (Nr. 27)
  • die unauffälligen Buntsandstein-Relikte des früheren Gartens mit Teilen der ehemaligen Rondell-Rundung (zu Details s. Ludwig 1991)
  • den Unternehmensparkplatz mit seinen auffälligen Ost-West-Mauern aus Buntsandstein-Hausteinen und – alten Originalfotos nach zu urteilen – dem gut erhaltenen früheren Eingangsportal zur Villa Schönhof mit den vier historischen Buntsandstein-Stelen (s. hierzu das Bild der Villa mit dem östlich gelegenen Eingangsbereich von der Fahrenbergstraße, Ludwig 1991, S. 347)
  • jenseits der Dinglerstraße zwei Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute, äußerlich nahezu im Original erhaltene zeitgenössische Stahlfachwerk-Hallen unterschiedlicher Größe mit ihren nordexponierten, verputzten Backstein-Fassaden (und spitzem Dachaufbau mit Glasflächen auf der Längsachse der Gebäude, das größere im Jahre 1907 fertig gestellt), lange Standort u.a. der Gießerei und auch heute noch genutzt (Nr. 1)
  • Reste des frühen Betriebsgeländes mit Ursprungswerk / Nord- oder Oberwerk des Schönhofs direkt östlich der Fahrenbergstraße (Nr. 30). Hier erstrecken sich ebenfalls erhaltene, wenn auch stark durch Wiederaufbau und Renovierung geprägt Dingler-Gebäude (nicht mehr alle Teile vom Standort Schönhof einsehbar).

Einmal ist erhalten ist der Original-Eingang des früheren Schönhof-Werks nördlich der Dinglerstraße, allerdings heute durch die überbaute Toreinfahrt ins Nordwerk stark verändert und auch nicht allgemein zugänglich (Nr. 31), zum anderen nördlich davon im Innenhof das frühere technische Büro, ein auffälliges gründerzeitliches Gebäude mit hohen Rundbogenfenstern (ein Ausschnitt ist durch die Toreinfahrt zu sehen auf Nr. 31), auf der Südseite renoviert, übrige Fassaden durch verzinkte profilierte Bleche geschützt, aber auch verdeckt

  • weiter östlich auf der Dinglerstraße ist zu sehen das nach dem Zweiten Weltkrieg errrichtete Verwaltungsgebäude der Firma Dingler (auf Teile des ehemaligen Geländes der Tivoli-Brauerei übergreifend) (Nr. 52), ebenso gegenüber südlich der Dinglerstraße große nachkriegszeitliche Hallen. Letztere stehen auf dem Gelände eines der Dingler’schen Fremd- und Zwangsarbeiterlager des Zweiten Weltkriegs (s. detaillierter unter Nr. 33). Östlich davon, an die Bismarckstraße anschließend, war damals ein Gartengelände, heute eingenommen von einem Werksparkplatz der Tadano Demag im Zwickel zwischen Dingler-, Bismarck- und Jahnstraße
  • direkt östlich des Haupteingangs der Verwaltung wurde 2022 ein neues öffentliches ‚Erinnerungs-Element‘ aufgestellt, nämlich ein von Demag hergestellter und jüngst vor allem von Auszubildenden renovierter Kran (Nr. 20)
  • am Standort Schönhof sollte auch die verborgene, aber wichtige dritte Dimension im Untergrund dieser früheren und heutigen Werksgelände erwähnt und kurz erläutert werden: Die ausgedehnten Keller und Gänge im örtlich anstehenden Buntsandstein. Es handelt sich hier nicht ausschließlich um Hinterlassenschaften der ehemaligen Tivoli-Brauerei. Diese wurden später ausgebaut, zu einem großen Teil wahrscheinlich von Dingler, in Kriegszeiten teilweise ebenfalls als unterirdisches Zwangsarbeiterlager und -werkstätten genutzt. Sie wurden allerdings teilweise in jüngerer Zeit verändert, hauptsächlich zur Sicherung, dazu ausgeräumt und vermessungstechnisch dokumentiert. Zugänglich nur noch nach besonderer Anmeldung und Erlaubnis, und nur noch in Führungen mit vorgeschriebener Schutzkleidung
  • der gesamte Schönhof und seine nähere Umgebung wird ständig und auch wechselnd überragt von in den verschiedensten Höhen ausgefahrenen Teleskop- und Gittermastkranen. Dies gilt insbesonders für alle von außen sichtbaren Bauten und Lagerflächen der Firma Tadano Demag. Dominierend sind auf den Freiflächen vor allem Einzel- oder Ersatzteile von Gittermasten, in Einzelfällen auch noch mit den Originalschriftzügen von Demag, PEKAZETT (also Peschke) und Terex versehen. Direkt westlich der die Schillerstraße absperrenden Einfahrt ist sogar noch ein kleiner historischer Demag-Kran zu erkennen, auffällig aufgrund seiner roten Farbe.

Die beschriebenen Orte erlauben es gedanklich, an die hier offensichtlich gegebene ‚Standortpersistenz‘ anzuknüpfen, damit auch an frühere mit heutigen Produktionsschwerpunkten und wesentlichen betriebstechnischen Veränderungen: Den materiell dokumentierten Wandel von einer Maschinenbaufirma mit extrem hoher Fertigungstiefe – also einem hohen Anteil selbst gefertigter Teile – zu einem ‚Montagebetrieb‘ mit zahlreichen Zulieferern. So kann an diesem industriekulturellen Ankerpunkt Schönhof ein erstes ‚Eintauchen‘ in diesen metallindustriellen Schwerpunkt der Zweibrücker Industriegeschichte erfolgen…

Benennung und Beschreibung weiterer Ankerpunkte in Vorbereitung.

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Bearbeitung (Oktober 2023)

Dietrich Soyez / Freundeskreis Zweibrücker Industriekultur

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